Die Experten: Die Kerbwirkung
F: Was ist die Kerbwirkung und welchen Einfluss übt sie auf Schrauben aus?
A: Eine Kerbe ist im Wesentlichen eine Querschnittsänderung eines Bauteils, die beispielsweise durch Bohrungen, Rillen oder Querschnittsübergänge entstehen kann. Als Folge von Kerben kommt es zu ungleichen Spannungsverteilungen im Bauteil, die zu Spannungsspitzen führen. Diesen Effekt, den eine Kerbe ausübt, bezeichnet man als Kerbwirkung. Da die Kerbwirkung die Belastbarkeit des Bauteils verringert, ist sie auch eine sehr wichtige Größe, wenn man die mechanische Festigkeit von Bauteilen oder Konstruktionen berechnen möchte. Der Effekt einer Kerbwirkung tritt besonders dann auf, wenn das Bauteil auf Zug, Druck, Biegung, Scherung oder Torsion belastet wird. Die Kerbwirkung – also die Spannungsspitzen – kann auch zu einem frühzeitigen Bauteilversagen führen, was wiederum erklärt, warum die Kerbwirkung in der Regel als negativer Einfluss betrachtet wird. Um zu verhindern, dass ein gekerbtes Bauteil vorzeitig versagt, muss es ausreichend groß dimensioniert werden.
Aber eine Kerbe hat nicht nur negative Seiten.
Sie kann auch ganz gezielt eingesetzt werden, um Bauteile zu verfestigen, z. B. Kaltverfestigung im Gewindegrund, oder eine gewünschte Sollbruchstelle zu erzeugen.
Unter Zugbelastungen erfahren Schrauben aufgrund von Kerbwirkungen örtlich erhebliche Spannungskonzentrationen. Die Zug-Bruchkraft kann besonders bei zähen Werkstoffen infolge der Querkontraktionsbehinderung um bis zu 20 % größer sein als die eines ungekerbten zylindrischen Probestabs.
Im freien belasteten Gewinde einer Schraube ist die Kerbwirkung jedoch nicht so groß wie im Gewindeauslauf und im ersten tragenden Gewindegang. Grund hierfür ist die Entlastungskerbwirkung der aneinander gereihten Gewindegänge. Eine Schraube unter Zugbelastung bricht im freien belasteten Gewinde. Somit ist also das Konstruktionsprinzip, dass eine Schraube im freien belasteten Gewinde brechen soll, erfüllt. Meist tritt schnell eine deutliche plastische Verformung des Gewindes auf, sodass ein bevorstehender Bruch frühzeitig zu erkennen ist.
Neben den Zugbeanspruchungen sind Schrauben im Betrieb in der Regel auch Schwingbeanspruchungen ausgesetzt, was für die Tragfähigkeit sehr bedeutend ist. Die Kerbstellen einer Schraube rufen hohe Kerbspannungen hervor, die wiederum Ursache dafür sind, dass Schrauben nur geringe Schwingkräfte übertragen können. Am Ende kann es hier sogar zum Versagen der Schraube durch Ermüdungsbruch kommen.