Planung für eine sicherere Welt
Wie Zuverlässigkeit Ingenieuren hilft, konkurrierende Anforderungen auszugleichen
Naturkatastrophen werden wahrscheinlich einmal als prägendes Merkmal des 21. Jahrhunderts angesehen werden. Von Hitzewellen in Australien über Waldbrände im Westen der Vereinigten Staaten bis hin zu Hurrikanen in der Karibik und Überschwemmungen in Südostasien – die Auswirkungen auf die Menschheit sind gravierend. Weiter verschärft wird das Problem durch unzuverlässige Gebäude, Installationen und Infrastrukturen.
Bau- und Maschinenbauingenieure müssen diese unerwarteten Ereignisse einkalkulieren und gleichzeitig die Nachfrage nach günstigeren, leichteren und effizienteren Materialien und Konstruktionen berücksichtigen. Ist es überhaupt realistisch, dass Ingenieure inmitten dieser Herausforderungen Raum für Zuverlässigkeit finden?
Es hilft durchaus, einen Schritt zurück zu gehen und sich vor Augen zu führen, dass gegensätzliche Anforderungen für Ingenieure nichts Neues sind. Auch wenn die Anforderungen scheinbar größer sind als je zuvor, handelt es sich dabei nicht um eine dramatische Veränderung.
Besser, schneller, billiger
Fred Schenkelberg ist Ingenieur und Berater für Betriebssicherheit, der seit über 20 Jahren auf dem Gebiet der Zuverlässigkeit arbeitet und lehrt. Seiner Erklärung nach ist die aktuelle Situation nicht so radikal, wie sie uns vorkommt: „Die Erwartung ‚besser, schneller, billiger‘ gab es schon immer. Man könnte höchstens sagen, dass sich die Entwicklung beschleunigt hat.“
“Doch das ist die Kunst der Ingenieurtechnik: Kompromisse einzugehen und konkurrierende Anforderungen miteinander in Einklang zu bringen.“
„Ein Entwicklungsteam hat in den meisten Fällen ein Kostenziel, ein Datum, an dem das Projekt fertig sein soll, sowie funktionsspezifische Ziele. Diesen kommt im Entwicklungsprozess eine hohe Bedeutung zu, da die Beteiligten kontinuierlich daran gemessen werden. Als Experte für Betriebssicherheit setze ich mich dafür ein, dass auch die Berücksichtigung der Zuverlässigkeitsleistung in allen Phasen der Entwicklung sichtbar wird“, erklärt Fred Schenkelberg.
Eine der Möglichkeiten, wie diese Sichtbarkeit verbessert wird, ist entsprechendes Design für Zuverlässigkeit – ein Konzept, das viele der in der Zuverlässigkeitstechnik entwickelten Instrumente und Methoden vereint.
Zuverlässigkeit über dengesamten Lebenszyklus
Design for Reliability (DfR) ist ein sukzessiver Prozess zur Unterstützung der Zuverlässigkeit über den gesamten Lebenszyklus, von der Konzeption bis zum Recycling. Daraus ergibt sich, dass DfR nicht ausschließlich Aufgabe von Zuverlässigkeitsexperten ist. Auf Organisationsebene entwickelt und angewendet, gibt es die Richtung für die Planung, Herstellung und Instandhaltung vor und kann somit potenziell jeden Bereich eines Unternehmens involvieren.
Wenn es ein grundlegendes Prinzip gibt, das DfR unterstreicht, dann, dass Zuverlässigkeit am Punkt der Entscheidung stattfindet. Vor diesem Hintergrund muss Zuverlässigkeit also schon lange vor der physischen Fertigstellung berücksichtigt werden.
Um dies zu erreichen, ist ein gutes Verständnis dessen wichtig, was Zuverlässigkeit ist. Im Maschinenbau bedeutet Zuverlässigkeit die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gegenstand seine beabsichtigte Funktion unter bestimmten Bedingungen für einen bestimmten Zeitraum erfüllt.
Mit diesem allgemeinen Verständnis von Zuverlässigkeit können dann die Zuverlässigkeitsanforderungen identifiziert und definiert werden – diese decken sich wahrscheinlich mehr oder weniger mit den Erwartungen der Kunden. Erst wenn die Anforderungen klar sind, sollte die Entwicklung beginnen.
Keine Universallösung
Es gibt kein allgemein akzeptiertes Modell für DfR, aber jede Definition umfasst wahrscheinlich die folgenden grundlegenden Schritte, wie in der Grafik links dargestellt.
Der Prozess geht jedoch nicht nur in eine Richtung. Es wird erwartet, dass die Phasen Planung, Analyse und Verifizierung mehrmals überprüft werden, bis zur Marktreife. Innerhalb dieser Phasen können beliebig viele Instrumente, Tests und Prozesse zur Anwendung kommen, um die Schwachstellen, Toleranzen und die Robustheit offenzulegen. Schenkelberg bringt DfR wie folgt auf den Punkt:
“Es handelt sich um Regeln, Richtlinien und Maßnahmen, die Entscheidungsträgern wie Technikern, Ingenieuren und Führungskräften helfen, die Auswirkungen von Zuverlässigkeit vollständig zu begreifen.“
„Dabei geht es aber nicht um fest definierte Instrumente oder Maßnahmen. Jede Situation, jedes Produkt und jede Anwendung ist anders“, so Fred Schenkelberg.
Zurück zum Mehrwert
„Ein Fallstrick für Unternehmen besteht darin, sich auf der bisher erbrachten Qualität auszuruhen und den steigenden Zuverlässigkeitsanforderungen und Erwartungen der Kunden nicht zu folgen. Das ist gefährlich, weil das nächste Projekt unter Umständen andere Anwendungen oder ein anderes Ziel hat oder für einen anderen Kunden bestimmt ist“, erklärt Fred Schenkelberg. „Schnell wird daraus eine Checklisten-Mentalität nach dem Motto: ‚Wir machen diese beiden Tests, setzen das Produkt für zwei Stunden Schwingungen aus, und dann war es das.‘
Aber schafft man damit tatsächlich einen Mehrwert? Besser ist es, einen Schritt zurück zu gehen und darüber nachzudenken, welche Tests mögliche Probleme aufdecken, die in der Zukunft auftreten könnten.“ Um zukünftige Probleme identifizieren zu können, ist aber etwas notwendig, das oft vermieden wird: den Ausfall zu provozieren.
Die Vorteile des Versagens
Das Testen bis zur Versagensgrenze kann hilfreich sein, um die Zuverlässigkeit zu beurteilen. Dieser Ansatz kann jedoch mit den üblichen Grundsätzen von Planung und Entwicklung kollidieren.
„Konstrukteure und Ingenieure planen in der Regel von der Versagensgrenze weg – im Entwicklungsprozess geschieht das oft auch unbewusst“, sagt Schenkelberg und fährt fort:
„Was die Zuverlässigkeitstechnik leisten kann, ist, Versagensfälle sichtbarer zu machen.“
„Es ist wichtig, aus Fehlschlägen lernen zu können. Zu oft beginnt eine Prüfung mit dem Ziel, die Funktions- oder Leistungsfähigkeit nachzuweisen. Da werden zum Beispiel Tests in Bedingungen durchgeführt, in der mit einem positiven Ergebnis zu rechnen ist. Möchte man aber stattdessen etwas herausfinden, was man noch nicht weiß, sollte ein Test bis an die Versagensgrenze führen.“
„Auf diese Weise lässt sich mehr über die Art des Ausfalls feststellen, wie sich dieser manifestiert und welche Belastungen zusammenkommen müssen, um diesen Punkt zu erreichen. Es gibt dafür verschiedene Ansätze, die aber alle die Bereitschaft voraussetzen, nach Fehlern zu suchen.“
Eine Möglichkeit, potenzielle Fehlerquellen auszumerzen, ist ein sogenannter Highly Accelerated Life Test (HALT). Dieser kann im Rahmen der Überprüfungs-
und Validierungsphase von DfR zur Anwendung kommen.
Was echte Zuverlässigkeit bedeutet
„Für mich ist HALT eine Art Entdeckungsprozess“, sagt Schenkelberg. „Im Grunde geht es darum, verschiedene für die Anwendung relevante Belastungen so lange zu verstärken, bis es zum Ausfall kommt. Auf diese Weise erfährt man, ob das Versagen an der erwarteten Belastungsgrenze eintritt, und kann darauf
basierend Entscheidungen treffen. Daneben lassen sich so Erkenntnisse über die Art und Weise des Ausfalls gewinnen.“
In Wissenschaft und Praxis wurden mögliche Belastungen definiert, denen Gebäude, Anlagen und Infrastruktur infolge des Klimawandels sowie anderer katastrophaler Ereignisse ausgesetzt sind. Während diese Ereignisse neue Anforderungen an die Ingenieure stellen, ändern sich vor allem das Ausmaß und das Zusammenwirken der einzelnen Belastungen.
Das gezielte Provozieren eines Versagens, so Schenkelberg, bietet Erkenntnisse über die wahre Zuverlässigkeit und Robustheit sowie die Fähigkeit, unerwarteten Ereignissen standzuhalten.
ENTWICKLUNG ZUVERLÄSSIGER SCHRAUBENVERBINDUNGEN MIT NORD-LOCK
Laut Cyril Cadoux, Technical Manager für Europa, ist die Entdeckung potenzieller Fehlerquellen Teil vieler Testverfahren, die Nord-Lock regelmäßig anwendet.
„Schraubenverbindungen müssen wir nur selten bis zum Versagen testen, weil wir über das richtige Know-how verfügen, um die Ursache von beschädigten Teilen zu bestimmen. Die Auswertung einiger tausend Zyklen hilft uns bereits, einen gewissen Trend zu erkennen. Diese wichtigen Erkenntnisse geben uns das nötige Vertrauen in die Zuverlässigkeit unserer Produkte, um eine lebenslange Garantie anbieten zu können“, sagt er.
„Aber es reicht nicht, unser Produkte isoliert zu betrachten und lediglich nachzuweisen, dass sie widerstandsfähig und zuverlässig sind. Wir testen unsere Anwendungen und Keilsicherungsscheiben immer auch in den Umgebungen, in denen sie zum Einsatz kommen.“
„Auf dieser Grundlage sprechen wir mit unseren Kunden, bringen die Anwendungen in Erfahrung und nehmen tiefergehende Analysen vor. Wir versuchen, so viele Daten wie möglich zu gewinnen, und reproduzieren dann die einzelnen Szenarien. Manchmal lässt sich nicht alles aus 3D-Zeichnungen oder -Plänen ableiten, weshalb wir uns bei Bedarf auch vor Ort ein Bild verschaffen.“
„Das bedeutet, wir testen nicht nur Nord-Lock Produkte, sondern auch die Schraubenverbindungen unserer Kunden. Anhand unserer Analysen, Simulationen und internen Tools können wir unsere Kunden so individuell und passgenau beraten“, ergänzt Cadoux.