Fehleranalyse von Schraubenverbindungen
Schrauben und Muttern sind überall im Einsatz. Wenn daheim in den eigenen vier Wänden eine Schraubenverbindung versagt, ist das meist nur ein Ärgernis. Geschieht aber etwas ähnliches in einem Kernkraftwerk, kann sich das zu einer Katastrophe entwickeln. Aus diesem Grund ist eine Fehleranalyse von beschädigten Schraubenverbindungen so ungemein wichtig.
Das Versagen einer Schraubenverbindung kann viele verschiedene Ursachen haben. Tatsächlich ist meist eine Kombination aus mehreren Faktoren dafür verantwortlich.
Laut Laurent Dastas, Experte für die Analyse von Schraubenverbindungen bei Alstom Transport, ist das Versagen einer Schraubenverbindung auf vier wesentliche Ursachen zurückzuführen:
1. Es wurde vergessen, die Verbindung festzuziehen.
2. Das zum Anziehen verwendete Werkzeug war in Hinsicht auf die einzuhaltenden Toleranzen nicht genau genug.
3. Die Festigkeitsklasse des Verbindungselements stimmte nicht.
4. Die vorgeschriebene Anzugsreihenfolge wurde nicht eingehalten.
In technischer Hinsicht sind zwei wesentliche Arten des Versagens einer Schraubenverbindung zu nennen: Statisches Versagen und Ermüdungsversagen, das auch als dynamisches Versagen bezeichnet wird. „Die Verwendung von elektronischen Drehmomentschlüsseln zur gleichzeitigen Aufzeichnung von Drehmoment und Drehwinkel beim Anziehen ermöglicht bei jeder Montage ein sicheres Anziehen gemäß diesen vier Parametern“, erläutert Laurent Dastas.
Ein statisches Versagen ist im Allgemeinen problemlos zu erkennen. Es tritt beispielsweise bei einer Überlastung auf, nach einem zu festen Anziehen der Baugruppe, durch die Einwirkung von äußeren Lasten bei einem Unfall, oder durch ein „nicht konformes Produkt“.
Ein Ermüdungsversagen ist oftmals deutlich komplexer, da sich die Ermüdung im Laufe des Betriebszyklus entwickelt. Es können Risse in dem Material entstehen, wie etwa in den Verbindungselementen, den Gewindegängen der Schraube oder jeder Komponente der Baugruppe. Vor dem Totalversagen der Baugruppe vergrößern sich diese Risse und breiten sich in den Spannungsbereich der Schraube aus.
„Rissbedingte Schäden sind die gefährlichste Art des Versagens in einer Schraubenverbindung“, sagt Zouhair Chaib, Senior Technical Expert bei Nord-Lock.
Bei einem Ermüdungsversagen kann die Baugruppe zunächst korrekt angezogen sein. Nach dem Einwirken einer äußeren Belastung beginnt die Schraubenverbindung jedoch, die Vorspannkräfte zu verlieren, zum Beispiel aufgrund von Relaxation oder Selbstlösen.
„Wenn der Verlust der Vorspannung einmal begonnen hat, ist es nicht so leicht, ihn wieder zu stoppen“, erklärt Chaib. „Bei einem Verlust der Vorspannung nehmen sowohl die wechselnden Belastungen, als auch das Gleiten zwischen den Bauteilen zu. Je öfter sich dieses Gleiten wiederholt, desto mehr Vorspannung geht verloren.“
Auch die wechselnden Belastungen nehmen immer weiter zu und führen schließlich zu einem Ermüdungsriss. Unter den von außen und zyklisch einwirkenden Belastungen breitet sich dieser Ermüdungsriss weiter aus. Nach einer gewissen Ausdehnung der Schraube und wenn die gegen die Ermüdungsbelastung wirkende Kraft groß genug ist, kommt es zum Totalversagen. Ein Ermüdungsriss kann durch Korrosion oder Verunreinigungen im Schraubenwerkstoff ausgelöst werden, durch schlechte Qualität des geschnittenen Gewindes oder durch eine ungewollte Belastung (Stoß).
Sind mehrere Schrauben beteiligt, kann das Versagen einer Schraube zur Überlastung von anderen Schrauben in der Nähe führen. Dies führt wiederum sehr schnell zu einer Kettenreaktion und zum Versagen des ganzen Bauteils.
„Bei einem Ermüdungsversagen weiß man nie, wann die Ermüdung, die Risse und der Totalausfall der Baugruppe auftreten“, führt Chaib weiter aus. „Im Allgemeinen tritt das Ermüdungsversagen sehr plötzlich auf und stellt immer eine höchst unwillkommene Überraschung dar.“
Eine Möglichkeit, um herauszufinden, warum es zu einem Versagen gekommen ist, besteht darin, das Ischikawa- (Fischgräten-) Diagramm zu verwenden. Dieses Verfahren wird häufig vom Nord-Lock Technikzentrum eingesetzt, um Kunden bei einer Problemlösung zu helfen.
„Wenn eine Schraubenverbindung versagt hat, muss der Kunde die Umgebung sichern, bevor er die vorhandene Baugruppe austauscht und Teile ersetzt“, betont Chaib. „Er muss alle Teile fotografieren und mit einer Nummer kennzeichnen. Wichtig ist auch, die Bruchstellen, Kontaktflächen und Gewinde nicht zu berühren. Außerdem benötigen wir eine Beschreibung des Vorfalls und der Fehlerbedingungen, um das Problem schnell eingrenzen zu können.“
Darüber hinaus muss der Kunde alle Teile vor Korrosion schützen, wenn er sie zur Analyse an das Technikzentrum schickt. Dadurch wird vermieden, dass Korrosion als Ursache für Ermüdungsrisse erkannt wird, wenn zum Zeitpunkt des Ausfalls aber noch gar keine Korrosion vorlag.
„Durch all diese Maßnahmen ist uns der Kunde behilflich, die Situation schnell und exakt zu analysieren, was es uns ermöglicht, ihm schnell zu antworten und eine Lösung zu bieten“, erklärt Chaib. „Danach ist eine Änderung der Baugruppe kein Problem mehr. Der Kunde kann zum Beispiel alle gefährdeten Teile austauschen, um die Produktion fortzusetzen.“
Kunden stehen sehr oft unter dem Druck, die Produktion so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, die Baugruppe während des Betriebs zu prüfen und nachzumessen. In der Zwischenzeit können Kunde und Analyse-Experte gemeinsam daran arbeiten, die beste und genaueste Lösung zu finden, um die bestehende Baugruppe zu ersetzen.
Im Nord-Lock Technikzentrum werden alle Komponenten überprüft und alle beschädigten Teile anhand von Fotos dokumentiert. In einigen Fällen wird ein 3D-Mikroskop verwendet, um einige Faktoren miteinander zu vergleichen und zu kontrollieren. Ggf. werden auch externe Partnerlabore mit der Durchführung weiterer Analysen beauftragt. Am Ende werden die Ergebnisse ausgewertet und ein Gesamtbild erstellt.
„In unserem Labor sind wir in der Lage, Schwingungs-, Drehmoment- und Vorspannungs-Prüfungen durchzuführen“, sagt Chaib. „Wir haben auch die Möglichkeit, beispielsweise das Verhalten der Schraube zu überprüfen – um absolut sicher zu gehen, dass die vorgeschlagene Lösung richtig und sicher funktioniert.“
„Im Technikzentrum analysieren wir verschiedene Situationen, finden die Ursache heraus und schlagen eine technische Lösung für das Problem vor“, fährt Chaib fort. „Dabei berücksichtigen wir immer auch eine Vielzahl anderer Aspekte, wie zum Beispiel wirtschaftliche, praktische und betriebliche Faktoren.“
DER FALL DES GEFÄLSCHTEN SPANNELEMENTS:
Superbolt Spannelemente werden eingesetzt, da sie eine hohe Vorspanngenauigkeit besitzen und die Beaufschlagung einer hohen Vorspannung mit kleinem Drehmoment ermöglichen.
Einer unserer Kunden testete ein Spannelement mit Vielfachschrauben eines anderen Herstellers in einer seiner Konstruktionen. Nach einiger Zeit versagte die Konstruktion und der Kunde wandte sich mit der Bitte, den Vorfall zu untersuchen, an Nord-Lock.
„Wir haben das Versagen mithilfe eines 3D-Mikroskops analysiert“, sagt Chaib. „Wir fanden heraus, dass die Hauptursache Materialermüdung war und dass die Vorspannung diese Ermüdung beschleunigt hatte.“
Die vorhandene Mattierung am Ende der Druckschrauben ließ auf eine korrekte Beaufschlagung der Vorspannung schließen, aber als die Drehposition der Druckschrauben untersucht wurde, fiel auf, dass alle Vielfachschrauben unterschiedlich waren. Eine der Druckschrauben wies gar keine Drehung auf. Der Grund dafür war eine Selbstlösung der Druckschraube.
„Außerdem haben wir überprüft, wie beständig das gefälschte Spannelement gegen Selbstlösung ist und sind zu der Schlussfolgerung gelangt, dass dieser Faktor in der Kopie nicht berücksichtigt wurde“, erläutert Chaib. „Als wir die Kopie mit unserem Spannelement verglichen, stellten wir fest, dass beide den gleichen Gewindedurchmesser hatten, aus dem gleichen Material gefertigt waren und den gleichen Außendurchmesser aufwiesen, aber einige Besonderheiten unserer Vielfachschrauben waren nicht vorhanden.“
Das Spannelement hatte eine gute statische Beständigkeit, aber da war immer noch das Problem der Selbstlösung, die das Ermüdungsversagen verursacht hatte.
DER FALL DER KLEMMLÄNGE:
Bei einer beschädigten Konstruktion verwendete unser Kunde eine standardmäßige Schraubenverbindung. Der Kunde tauschte die Schrauben, Muttern und Unterlegscheiben gegen neue aus, machte Fotos und schickte uns die beschädigten Teile. Außerdem fügte der Kunde CAD-Daten bei, um die Gesamtsituation und die von außen einwirkende Belastung näher zu beschreiben.
Der Kunde hatte Distanzstücke verwendet, um die Klemmlänge zu erhöhen, und war der Meinung, das Problem dadurch lösen zu können. Nachdem er die Maschine wieder in Betrieb genommen hatte, trat der gleiche Fehler erneut auf.
„Durch eine Analyse der Kundenkonstruktion fanden wir heraus, dass ein Ermüdungsversagen vorlag“, sagt Chaib. „Die Baugruppe war stark vorgespannt. Eine hohe Vorspannung ist nicht gefährlich und stellt im Allgemeinen eine gute Lösung dar. Also musste es einen anderen Grund für das Versagen geben und wir setzten unsere Untersuchungen fort.“
Wir kamen zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall eine hohe Scherbelastung – eine Querbelastung – vorhanden war. Der Kunde musste die gleiche Klemmlänge wie zuvor benutzen (ohne Distanzstück), aber die Vorspannung durch Steigern des Drehmoments erhöhen und eine bessere Schraubenklasse verwenden, um eine Sicherungslösung einsetzen zu können. Für die Querbelastung bestand die beste Lösung darin, die Vorspannung zu erhöhen und sie mit Losdrehsicherung aufrecht zu erhalten.
„Wir empfahlen dem Kunden die Benutzung von Nord-Lock Sicherungsscheiben, um seine Konstruktion gegen Selbstlösen zu schützen“, führt Chaib weiter aus. „Mit unserer Lösung waren nur einige wenige Änderungen an seiner Konstruktion erforderlich: Zwei Nord-Lock Keilsicherungsscheiben, eine Schraube mit hoher Festigkeitsklasse (10.9) und ein geeignetes Drehmoment.“
DER FALL DES GEWINDEVERSAGENS:
Unser Kunde hatte die Hälfte seiner Baugruppe verloren, aber an den Gewinden waren keinerlei Beschädigungen erkennbar.
„Wir baten den Kunden um weitere Informationen über die geschätzte Last und die Bedingungen, denen die Konstruktion ausgesetzt war“, führt Chaib weiter aus. „Der Kunde gab an, dass Stoßbelastungen auf die Baugruppe einwirkten, aber keine Ermüdungsbelastung. “
„Als wir uns das Außenprofil der Konstruktion näher anschauten, fiel uns eine geringfügige plastische Verformung an den Gewindeenden auf. Außerdem stellten wir fest, dass die Gewinde in axialer Richtung Spuren aufwiesen und der Außendurchmesser nicht konstant war.”
Damit waren wir in der Lage, ein mögliches Fehlerszenario zu entwerfen: Der Außendurchmesser und die Materialeigenschaften waren nicht geeignet, um der durch den Gewindewinkel und die Axiallast beaufschlagten Umfangsspannung standzuhalten. Unter Volllast dehnte sich das erste Teil aus (radiale Dehnung); aufgrund seines Feingewindes rutschte das zweite Teil durch und trennte sich von dem ersten.
„Zur Validierung dieses Szenarios führten wir eine Berechnung nach der Finite-Element-Methode (FEM) durch und verglichen den gemessenen Durchmesser mit dem FEM-Durchmesser (nach Beaufschlagung der Axiallast) und der Gewindeform aus der FEM und der Realität“, erklärt Chaib weiter.
Die FEM-Ergebnisse entsprachen so genau der Realität, dass dieses Szenario akzeptiert und eine praktische Lösung vorgeschlagen wurde:
- Außendurchmesser des Gewindeteils vergrößern.
- Normalgewinde verwenden.
- Steiferes Material benutzen (hoher Elastizitätsmodul).
- Form des ersten Teils optimieren.
Die häufigsten Gründe für das Versagen von Schraubenverbindungen:
1. Menschliches Versagen.
2. Materialfehler, z. B. Verunreinigungen im Werkstoff, die zu Ermüdungsrissen führen.
3. Nicht richtig kalibrierte Werkzeuge.
4. Entwurf.
5. Die von außen einwirkende Belastung wird unterschätzt oder es wird von falschen Annahmen ausgegangen.
6. Berechnungsfehler, wenn z. B. das Drehmoment oder die Spannung in der Schraube falsch berechnet wurden.
Eine kurze Übersicht der Fehleranalyse von Schraubenverbindungen:
Wenn eine Schraubenverbindung versagt, sollte der Konstrukteur wie folgt vorgehen:
1. Umgebung der fehlerhaften Konstruktion sichern.
2. Alle Teile fotografieren.
3. Alle Komponenten mit Nummern kennzeichnen.
4. Die Teile vor Korrosion schützen.
5. Den Vorfall und die Fehlerbedingungen sorgfältig beschreiben.
So geht das Nord-Lock Technikzentrum vor:
1. Problem identifizieren.
2. Alle Komponenten überprüfen und alle beschädigten Teile fotografieren.
3. Mithilfe eines 3D-Mikroskops Faktoren miteinander vergleichen und kontrollieren.
4. Ischikawa-Diagramm verwenden, um mögliche Faktoren für das Versagen herauszufinden.
5. Entsprechende Tests durchführen, z. B. Schwingungs-, Drehmoment- und Vorspannungs-Prüfungen.
6. Partnerlabore mit der Durchführung weiterer Analysen beauftragen.
7. Ergebnisse analysieren, das realistischste Szenario definieren und es dem Kunden präsentieren.
8. Praktische Lösungen entwickeln (wirtschaftlich, sicher und einfach zu installieren).