„Alexa: Wie können smarte produkte die wartung von schraubenverbindungen neu definieren?

Michael Reiterer ist Mitbegründer eines internationalen Beratungsunternehmens mit Schwerpunkt auf dem Gebiet der Bauwerksdynamik und dessen Monitoring.

Seit 2014 treibt das Unternehmen die Entwicklung smarter Produkte für Ingenieurbauwerke maßgeblich mit voran. „Wir haben uns bereits einen Namen bei der Analyse von Vibrationen und Vermeidung von Schäden durch Materialermüdung gemacht“, erklärt Michael Reiterer. Mithilfe von Software führt Revotec dynamische Berechnungen durch und bewertet die Auswirkungen etwa von Vibrationen an Eisenbahnbrücken durch Zugüberfahrten.

In diesem Zusammenhang schloss das Unternehmen 2016 einen Vertrag mit den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), in dessen Rahmen Revotec die Auswirkungen aerodynamischer Belastungen auf Lärmschutzwände untersuchen sollte.

Konkret, erinnert sich Michael Reiterer, „wollte der Kunde wissen, welche Auswirkungen mit hoher Geschwindigkeit vorbeifahrende Züge auf die Befestigungselemente haben, wie sich ihre Lebensdauer ändert, wenn die Vorspannkraft abnimmt, und ob es möglich ist, diese kontinuierlich zu überwachen“.

Aerodynamische Belastung ist die Kraft, die bei einem vorbeifahrenden Zug auf Lärmschutzwände wirkt. Ihre Amplitude ist abhängig von der Geschwindigkeit sowie von der Form, der Höhe und dem Abstand der Schutzwand von der Gleisachse. Es handelt sich dabei um eine Druckwelle, die in Sekundenbruchteilen eine maximale Amplitude erreicht und eine Stoßbelastung erzeugt, die zu Ermüdungsschäden an der Stahlkonstruktion der Lärmschutzwand führt.

Leider wird dieses Problem durch das seit den frühen 2000er Jahren immer höhere Tempo der Züge weiter verschärft. Unter 160 km/h gibt es eigentlich keine Probleme, aber laut Reiterer „überschreiten die deutschen und österreichischen Züge jetzt regelmäßig diese Geschwindigkeit, einige sind sogar mit über 300 km/h unterwegs“. Auch die Lärmschutzwände wurden auf sechs oder sieben Meter erhöht, wodurch die Auswirkungen dynamischer Vibrationen um ein Vielfaches zunehmen.

Forschung und Entwicklung

„Unsere größte Herausforderung bestand in der kontinuierlichen Überwachung der Vorspannkraft in den Befestigungselementen“, so Reiterer. Revotec beschäftigt ein kleines Team von Diplomingenieuren aus den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik und Bauwesen. Im Rahmen eines vierjährigen Forschungsprojekts war Joachim Muik an der Entwicklung zweier Prototyplösungen zur Erkennung der Vorspannkraft von Schraubenverbindungen, REVO m-Bolt und REVO e-Bolt, beteiligt.

Laut Muik stellte die von den ÖBB angestrebte kontinuierliche Überwachung eine besondere Herausforderung dar: „Die Entwicklung von Muttern oder Schrauben, bei denen sich die Vorspannkraft messen lässt, ist im Grunde kein Problem. Deutlich schwieriger wird es dagegen, diese Schrauben mit dem Internet zu verbinden.“

 

Gab es bereits eine Lösung auf dem Markt?

Das Kerngeschäft von Revotec ist die Beratung, und trotz seiner eigenen Innovationsambitionen legt Reiterer großen Wert auf die Zusammenarbeit mit erfahrenen Partnern. Über Thomas Schardax, Sales Engineer bei Nord-Lock in Österreich, erfuhr Michael Reiterer vom Superbolt Load-Sensing Tensioner (LST), der Industrie 4.0-Lösung von Nord-Lock für die kontinuierliche Überwachung der Vorspannkraft.

Nach einigen Gesprächen und einem Treffen zum Wissensaustausch am deutschen Nord-Lock Standort Lauchheim vereinbarten die beiden Unternehmen, das Problem der ÖBB gemeinsam in Angriff zu nehmen. Zunächst war Joachim Muik überrascht, dass der Superbolt LST nicht wie eine herkömmliche Mutter aussah, erkannte aber schnell die Vorteile bei der Montage.

Superbolt Spannelemente mit Vielfachschrauben (MJTs) verteilen hohe Vorspannkräfte über Druckschrauben, die durch den Mutternkörper geschraubt werden, auf überschaubare Drehmomente. So braucht es beispielsweise ein Drehmoment von 200 Nm, um eine gängige M16-Schraube mit einer Vorspannkraft von 80 kN anzuziehen. Laut Muik „waren es beim Superbolt LST nur 12 Nm pro Schraube, was bedeutet, dass ich bei der Montage auf einer Leiter stehen konnte und auch enge Stellen kein Problem waren.“

 

Die Zukunft der Vorspannungsüberwachung

Die Montage selbst ist einfach, interessanter hingegen ist die innovative Durchführung dieses Projekts mithilfe intelligenter Technologien. Pierre Kellner, Business Developer for Smart Products bei Nord-Lock, sein Kollege Damien Thomas in Lyon und Partner Lisab aus Göteborg unterstützten Joachim Muik aus mehreren hundert Kilometern Entfernung per Live-Stream bei der Erstmontage.

„Trotz der Reisebeschränkungen konnten wir dank der Microsoft HoloLens-Brille von Joachim Muik per Augmented Reality live vor Ort dabei sein. Er hatte noch nie Superbolt MJTs und auch keine unserer intelligenten Lösungen installiert, aber dank der Vernetzung konnten wir seinen Blickwinkel einnehmen und er sich wiederum ganz auf die Arbeit konzentrieren. Durch die Echtzeit-Aufzeichnung entfällt außerdem die Notwendigkeit, Notizen zu machen“, so Pierre Kellner.

Nach der Montage ermöglicht der Superbolt LST eine genaue, kontinuierliche Messung der Vorspannkraft aus der Ferne, deren Ergebnisse über eine Webschnittstelle überall auf der Welt einsehbar sind.

„Wir können mit dieser Technologie Trigger Level definieren, die den Kunden automatisch benachrichtigen, sobald die Vorspannkraft unter einen bestimmten Grenzwert fällt“, erklärt Michael Reiterer.

„Wir haben zum Beispiel innerhalb von 72 Stunden nach dem ersten Anziehen einen Verlust der Vorspannkraft und nach einem Jahr Überwachung einen weiteren Verlust festgestellt“, fährt er fort. Mit diesen Informationen können Anwender des Superbolt LST, wie die ÖBB, optimale Intervalle für das Nachziehen und die Wartung ihrer Schraubenverbindungen bestimmen – wertvolle Informationen für ein Unternehmen wie Revotec, das Kunden bei der Vermeidung von Schäden in ihrer Infrastruktur durch Materialermüdung unterstützt.

 

Welches Potenzial haben digitale Tools in der Industrie?

Das Potenzial ist extrem hoch“, sagt Reiterer, aus dessen Sicht die vorausschauende Wartung für Industrie- und Infrastrukturunternehmen immer wichtiger wird. Teil der Vision von Revotec ist die Datenaufzeichnung ohne Kabel oder Stromversorgung. Stattdessen zeichnet der Zug selbst die Daten aller intelligenten Komponenten entlang der Gleise auf und übermittelt die Daten an eine zentrale Datenbank, mit der die Zugbetreiber Wartungspläne erstellen können.

„Die Möglichkeiten sind praktisch endlos. Es spielt keine Rolle, ob es sich um eine Lärmschutzwand mit einfachen Befestigungselementen oder um eine anspruchsvolle Anwendung wie eine Turbine oder ein Drucksystem handelt – diese Technologie kann überall eingesetzt werden“, ergänzt Joachim Muik.

„So wie wir das bereits jetzt mit Haushaltsgeräten wie TV, Heizung und Staubsauger machen, wird auch die Industrie künftig wohl Remote-Verbindungen zu ihren kritischen Komponenten einrichten.“