Ein business case für nachhaltigkeit

Der global agierende Maschinenbaukonzern Sandvik hat sich auf die Herstellung von Werkzeugsystemen für fortschrittliche industrielle Metallzerspanung, Bergbauequipment, Baumaschinen, moderne Edelstähle und Speziallegierungen spezialisiert. Außerdem blickt das Unternehmen auf eine lange Tradition im Bereich sozialer Verantwortung zurück.

Wir haben mit Mats W. Lundberg, Head of Sustainability, über die ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele des Konzerns gesprochen und erfahren, wie aus seiner Sicht jeder den Übergang zur Kreislaufwirtschaft schaffen kann.

 

Gehen wir einmal zurück zu den Anfängen. Wie beginnt ein multinationales Unternehmen, sich mit der Kreislaufwirtschaft auseinanderzusetzen?

Wenn ich selbst über die Kreislaufwirtschaft nachdenke, fallen mir vor allem wirtschaftliche Chancen ein. Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit sollte grundsätzlich auch das Business im Mittelpunkt stehen. Denn was ist der Zweck der Nachhaltigkeit? Es geht in erster Linie darum, Geld zu verdienen, Kosten zu senken, Risiken zu verringern und einen positiven Beitrag zur Umwelt zu leisten. Das ist der übergeordnete Rahmen.

Man könnte zum Beispiel mit der Betrachtung der Risiken und benötigten Rohstoffe beginnen. Je nach Branche kann die Zahl der Lieferanten überschaubar sein. Auch die Anforderungen an die Qualitätskontrolle sind in den einzelnen Ländern und Regionen unterschiedlich. Ihre Lieferanten können ein Risiko für die Grundwerte oder sogar für den Ruf Ihres Unternehmens darstellen, weshalb es sein kann, dass Sie mit gewissen Risiken umgehen oder diese aktiv mindern müssen.

Eine Möglichkeit besteht darin, die Lieferanten zur Unterzeichnung und Einhaltung eines Verhaltenskodex zu verpflichten. Aber das ist nicht immer ein perfektes Szenario. Ein Vorteil der Kreislaufwirtschaft besteht darin, dass neue Rohstoffe durch Kreislaufmaterial ersetzt werden, in dem Sie Produkte, die bereits in Gebrauch waren, recyceln. Dadurch sinkt schließlich Ihre Abhängigkeit von einem risikobehafteten Bereich.

Aber gehen wir noch einen Schritt weiter. Angenommen, ich verkaufe einem Kunden eine Bergbaumaschine oder ein Metallrohr. Gleichzeitig biete ich ihm an, dieses Produkt zurückzukaufen, sobald es das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat. Aus der Sicht des Kunden ist das Produkt am Ende seiner Lebensdauer schrottreif, aber anstatt es an einen Schrotthändler zu verkaufen, kann ich ihn dazu motivieren, es direkt an Sandvik zurückzugeben. Dieses Material kann dann wieder als Rohstoff genutzt werden.

Der Rückkauf gebrauchter Produkte von unseren Kunden ist für Sandvik von Vorteil, da wir den genauen Inhalt und die Zusammensetzung, vielleicht sogar die Chargennummer, unserer Produkte kennen. Statt wahllos Schrott zu recyceln, können wir speziell diese Rohre in der Gewissheit einschmelzen, dass wir bereits fast die exakte Zusammensetzung für das neue Produkt haben. Für den perfekten Mix braucht es nur eine ganz kleine Menge an neuem Material – vergleichbar mit der Prise Salz oder dem Schuss Milch bei einer Fertigbackmischung, um den richtigen Geschmack zu erhalten.

Bei Sandvik nennen wir das nicht Schrott, sondern Sekundärrohstoff. Sekundärrohstoffe sind außerdem preiswerter als neue Rohstoffe und haben eine bessere Umweltbilanz. Das wiederum ist sowohl für Sandvik als auch für unsere Kunden von Vorteil. Wenn wir gemeinsam für ein geschlossenes Kreislaufsystem sorgen, helfen wir einerseits unseren Kunden, ihren Schrott loszuwerden, und schonen andererseits die Umwelt, da weniger neue Rohstoffe benötigt werden.

Aus finanzieller Sicht hilft uns solch ein geschlossener Kreislauf, Rohstoffkosten zu sparen und durch die stärkere Nachhaltigkeit gleichzeitig Risiken zu minimieren. Ein perfektes Beispiel dafür, wie die Kreislaufwirtschaft auch einen geschäftlichen Nutzen bringt. Dieses Beispiel kann als Leitfaden für die Entwicklung neuer, kreislaufbasierter Konzepte dienen und helfen, neue Kooperationsmöglichkeiten oder Produktsparten zu finden, für die ein ähnlicher Ansatz in Frage kommt.

 

Sie bringen die Kreislaufwirtschaft mit einem sehr überzeugenden Business Case in Verbindung. Warum haben sich nicht längst alle dieses Nachhaltigkeitsziel auf die Fahne geschrieben?

Das Problem ist, dass die traditionelle lineare Wirtschaft auf mehreren Transaktionen beruht. Dabei wird an einem Ende geschaut, wie teuer die Rohstoffe sind, und darauf basierend am anderen Ende der Gewinn am Verkaufsort berechnet. In einer Kreislaufwirtschaft wird aber im übertragenen Sinne diese gerade Linie so gebogen, dass sich die beiden Enden treffen: Plötzlich beginnen der Rohstoffeinkäufer und die Verkaufsteams zu kooperieren, weil der eine das Produkt vom anderen zurückkaufen soll.

Es ist ein grundlegender Wandel nötig, daher nennen wir unsere Nachhaltigkeitsstrategie auch „Make the sustainability shift“. Die nötige Infrastruktur muss aufgebaut werden, die Produktionsanlagen müssen möglicherweise angepasst und die Geschäftsmodelle neu ausgerichtet werden.

Und auch in den Köpfen müssen wir uns langsam aber sicher von 150 Jahren linearer Wirtschaft verabschieden, was nur Schritt für Schritt gelingen und wahrscheinlich zehn oder mehr Jahre brauchen wird. Genau aus diesem Grund ist der Business Case so wichtig: Wir machen Nachhaltigkeit nicht nur, um den Klimawandel zu stoppen, es geht auch um wirtschaftliche Interessen.

Die Idee des Kreislaufs geht auf, wenn der wirtschaftliche Aspekt ausreichend berücksichtigt wird. Einige Rohstoffe wie Kunststoff sind für einen Rückkauf zu billig, was die Möglichkeiten einschränkt. Stahl ist dagegen ein teurer Rohstoff, weshalb die Kreislaufwirtschaft für uns im Bergbau und in der Stahlherstellung sehr sinnvoll ist.

Je mehr Kreislaufwirtschaft ein Unternehmen betreibt, desto mehr Einsparungen sind möglich, zumal unter Umständen einige Möglichkeiten vor dem Übergang zu einem neuen Geschäftsmodell verpasst worden sind. Wenn ich ein Rohr habe, warum sollte ich es verkaufen und nicht einfach vermieten?

Was passiert, wenn man in den Modus „Vermieten statt Verkaufen“ wechselt?

Dann würde es naheliegen, nachhaltige Rohre zu entwickeln, die nie kaputt gehen. Schließlich will ich, dass meine Kunden langfristig mieten, richtig? Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ist das genial, weil dann insgesamt weniger Material im Umlauf ist. Es ist gut für die Umwelt und fürs Geschäft, denn ich werde jeden Monat dafür bezahlt.

Das Produkt mag in der Herstellung teurer werden, ist aber dafür „ewig“ haltbar und garantiert ein monatliches Einkommen. Wenn der Kunde es nicht mehr braucht, erhalten wir unseren Rohstoff zurück und können daraus ein neues Produkt herstellen.

Dazu muss man über den linearen Tellerrand hinausdenken. Letztendlich ist die Kreislaufwirtschaft das, was vor der Erfindung des Geldes passiert ist: Tauschhandel, Reparatur und Wiederverwendung.

Die extrem linearen Lieferketten sind nur entstanden, weil man die Dinge so billiger herstellen kann. Wenn man Sachen einfach wegwerfen kann, besteht nicht der gleiche finanzielle Druck, verantwortungsvoll zu konsumieren. Aber allmählich entdecken wir die geschäftlichen Vorteile der Kreislaufwirtschaft, und ein bewussterer Umgang mit Ressourcen ist wieder gefragt.

 

Angenommen, man ist von den wirtschaftlichen Vorteilen überzeugt und weiß, dass der Wandel ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen kann. Was ist im ersten Jahr zu tun, um sich der Kreislaufwirtschaft anzunähern?

Vor fünf Jahren habe ich mit folgender Frage angefangen: Wo lassen sich am einfachsten Veränderungen umsetzen? Kämpfen Sie nicht gegen Windmühlen in der Vorstellung, dass alles über Nacht zu einem Kreislauf werden muss. Gehen Sie stattdessen gezielt in die Bereiche, in denen Sie den wirtschaftlichen Nutzen sehen.

Wer den Menschen Nachhaltigkeit aufzwingt, erntet Frustration und verliert jegliche Hoffnung auf eine positive Dynamik. Obwohl Sandvik ein B2B-Unternehmen ist, habe ich mir als erstes unsere Produkte angesehen, die dem Verbrauchermarkt am nächsten sind.

Sandvik produziert unter anderem Bandstahl, den unsere Kunden zum Beispiel für die Herstellung von Küchenmessern und Rasierklingen verwenden. Die Verbraucherforschung zeigt, dass in Europa im Durchschnitt hauptsächlich Frauen Haushaltswaren kaufen. Und Frauen greifen auch tendenziell eher zu ökologischen Produkten. Daraus lässt sich also eine potenzielle Chance ableiten, eine „grüne“ Rasierklinge oder ein „Öko“- Küchenmesser zu vermarkten, da die Kunden wahrscheinlich darauf ansprechen werden.

Durch die Möglichkeit, mit den Herstellern zu kooperieren und das gleiche Produkt unter dem Wertversprechen der Nachhaltigkeit neu zu verpacken, lässt sich das Produktportfolio optimieren. Wenn Sie dann noch anbieten, den Bandstahl, der sonst bei der Herstellung von Rasierklingen oder Messern verschrottet wird, zurückzukaufen, können Sie doppelt punkten – mit grünem Stahl und einer Kreislaufwirtschaft.

Mit einem guten Business Case haben Sie nicht mehr nur die Rolle des Umweltpredigers. Anstatt nur Alarm zu schlagen, zeigen Sie nämlich, wie man mehr Geld verdienen und gleichzeitig den Klimawandel bekämpfen kann.

Damit überzeugen Sie andere auf positive Art und Weise und können vielleicht auch die Entscheidungsträger anderer Abteilungen inspirieren, ebenfalls nach solchen einfachen Einstiegspunkten zu suchen.

Wie bringt man einen B2B-Kunden in der Bergbauindustrie dazu, über die Kreislaufwirtschaft nachzudenken?

Zunächst einmal würde ich sicherstellen, dass es in unserem Gespräch um den Untertagebau und nicht den Tagebau geht. Denn dort gibt es den interessantesten Business Case für den Einstieg.

Wenn man statt einem Verbrenner ein batteriebetriebenes Elektrofahrzeug einsetzt, entstehen in der Tiefe weniger Emissionen. Geringere Emissionen erfordern weniger Belüftung, wodurch der Betrieb eines elektrisch betriebenen Bergwerks letztlich billiger ist als mit Diesel – und je tiefer es geht, desto mehr Belüftungskosten lassen sich einsparen. Gleichzeitig verbessert sich durch die Umstellung auf Elektroantrieb auch die CO2-Bilanz des geförderten Erzes. Verkauft man also die Idee einer elektrisch betriebenen Bergbaumaschine, bringt man den Kunden auch dazu, über die Vermarktung seines neuen, umweltfreundlicheren Erzes nachzudenken.

Metalle und Mineralien stecken heute in jedem Smartphone. Logisch wäre es daher, dass das Bergbauunternehmen auf einen Hersteller zugeht, der Geräte mit einer besseren Klimabilanz auf den Markt bringen möchte. Schließlich wird sein Rohstoff jetzt mit wenigerCO2 und wenigerWasser abgebaut.

Helfen Sie Ihrem Kunden, die Zusammenhänge zu erkennen und die richtigen Instrumente zu finden, mit denen er entsprechend dem Mehrwert, von dem seine Kunden profitieren werden, einen höheren Preis für seine Produkte erzielen kann.

Und das funktioniert: Die Unternehmen kaufen grünen Stahl zu einem höheren Preis, weil sie den Mehrwert und die Nachfrage der Verbraucher erkennen. Aus Verbrauchersicht spricht einiges dafür, umweltfreundliche Produkte zu kaufen und zu nutzen. Viele Menschen kaufen Bio-Bananen, warum also nicht auch einen Öko-Volvo? Der Preisunterschied zwischen einem Auto aus grünem Stahl und dem normalen Modell ist so gering, dass es sich für den Kunden sowohl finanziell als auch moralisch lohnt.

Sie sagen, dass Sandvik bis 2030 zu 90% Kreislaufwirtschaft betreiben will. Welche Auswirkungen wird ein solcher Anteil haben?

Viele denken fälschlicherweise, dass man mit einer Kreislaufwirtschaft weniger Material verbraucht. Tatsächlich geht es aber darum, verantwortungsbewusster zu sein und kein Material zu verschwenden, das bereits im Umlauf ist. Man kann durchaus größere Maschinen bauen, aber am Ende ihrer Lebensdauer müssen die einzelnen Materialien wieder in den Kreislauf zurückfinden.

Ich erkläre das gerne mit dem schwedischen Ausdruck „resurssnål“. Gemeint ist, sparsam und achtsam mit den Ressourcen umzugehen und Abfall zu vermeiden.

Dinge nur wegzuwerfen ist zu passiv und ignoriert die Tatsache, dass Abfall früher oder später an irgendeinem physischen Ort landet. Er verschwindet ja nicht einfach von der Erdoberfläche. Der Kreislaufgedanke führt zu einem achtsameren Umgang mit Rohstoffen, reduziert Müllberge und zeigt Verantwortung.

Dass wir bei Sandvik bis 2030 einen Anteil von 90% erreichen wollen, vermittelt aus meiner Sicht eine starke Botschaft. Wir wollen einen Wandel herbeiführen. Und das heißt, dass unsere Lieferanten, unsere Kunden und vor allem wir anders denken müssen.

Das Potenzial unseres ehrgeizigen Ziels ist aus wirtschaftlicher Sicht phänomenal: Es geht um mehrere hundert Millionen, wenn wir es richtig machen. Und aus ökologischer Sicht trägt schließlich alles, was man im Bereich der Kreislaufwirtschaft richtig macht, zur Bekämpfung des Klimawandels bei. Diese beiden Aspekte bilden eine Symbiose.

Und das ist es eigentlich auch schon. Sandvik hat es sich zum Ziel gesetzt, den Wandel zu gestalten und die Welt durch Technik voranzubringen. Die Welt voranzubringen, ohne sie nachhaltiger zu machen, halte ich für ziemlich schwierig.

 

Making It Circular: Mining Machines and Manganese Steel - Find out how Sandvik’s sustainability strategy materializes at the project level: